Das Matrimandir in Auroville als Seelenzentrum der Stadt

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Auroville: Möglichkeiten und Grenzen einer utopischen Dorfidee

Utopien sind löblich, romantisch und meist liebevolle Ideen, die nach wenigen Jahren scheitern. Auroville hingegen existiert seit 1968 und trotzt den Prognosen aller Skeptiker:innen. Einfach, weil sie irgendwo in Tamil Nadu ein Stück roten Wüstensand in einen grünen Hoffnungsgarten verwandelt haben. Aber wie groß ist die Hoffnung, wenn Bau- und Verwaltungsparteien, Ideale und Realität, Vergangenheit und Gegenwart ins Kräftemessen geraten?

Spiritualität trifft Stadtplanung

Alles begann mit dem indischen Philosophen Sri Aurobindo und seiner französischen Mitstreiterin Mirra Alfassa, auch bekannt als „die Mutter“. Gemeinsam entwarfen sie eine Vision für eine „Stadt für die Menschheit“ – jenseits von Nation, Kapitalismus und Ego. Am 28. Februar 1968 wurde Auroville offiziell gegründet, bei einer Zeremonie mit Erde aus 124 Ländern. Die UNESCO segnete das urbane Friedensexperiment Projekt ab, ebenso die indische Regierung.

Der französische Architekt Roger Anger entwarf den Masterplan: Eine konzentrisch organisierte Stadt, im Zentrum das Matrimandir – eine spirituelle Kuppel aus Goldplatten, die nicht weniger als das „Seelenzentrum der Stadt“ sein soll. Drumherum gibt es vier Zonen – Kultur, Industrie, Wohnraum und die internationale Zone. Geplant für 50.000 Menschen. Gekommen sind bis heute rund 3.300 Aurovilianer:innen.

Grün, divers, anders

Eine der wohl größten Errungenschaften ist die jahrzehntelange ökologische Aufforstung, die eine karge, erodierte Hochebene in eine grüne Oase verwandelte. Über drei Millionen Bäume wurden gepflanzt, das lokale Mikroklima verändert, Wasserzyklen wiederhergestellt. Auroville gilt deswegen heute als Modellregion für ökologische Resilienz.

Auch wirtschaftlich wird experimentiert: Eigentum gibt es offiziell nicht, stattdessen wird über „Maintenance“ und kollektive Beiträge gewirtschaftet. Geld soll keine Rolle spielen – tut es aber natürlich trotzdem, spätestens wenn Keramiktassen und Erdnussbutter aus Auroville im Onlineshop verkauft oder in Workshops internationale Besucher:innen betreut werden. Kapitalismuskritik ja, Exitstrategie eher semi.

Was aber wirklich beeindruckt, ist die internationale Diversität. Über 50 Nationalitäten leben zusammen. Die offiziellen Sprachen sind Englisch, Tamil und Französisch, und Entscheidungen werden basisdemokratisch über die Residents’ Assembly getroffen. Es ist oft langsam, konfliktreich, aber eben auch inklusiv. Hier wird versucht, Demokratie nicht nur zu rufen, sondern zu leben – obgleich Rückschläge nicht vermeidbar sind.

Wenn Idealismus auf Verwaltung trifft

Jetzt wird’s knifflig, denn der angedachte Plan wird bis heute nur schleppend umgesetzt. Die sogenannte „Crown Road“ – eine Ringstraße im Herzen Aurovilles – sorgt beispielsweise für erbitterten Streit: Während die Planungsfraktion ihre Umsetzung fordert, sehen andere darin eine ökologische und ideologische Bedrohung. Es kam zu Baumfällungen, Protesten und Gerichtsverfahren. Und dabei geht es nicht nur um Infrastruktur, sondern ums Selbstverständnis der Community.

Auch das angeblich geldlose Modell hat Schlagseite bekommen. Neueinsteiger:innen müssen oft hohe Einstiegskosten stemmen – Grundstücke gibt es nicht umsonst, selbst wenn sie offiziell niemandem gehören. Ein Grundstücksbeitrag von 30.000 Euro für ein kollektives Wohnprojekt ist für viele ein Ausschlusskriterium. Die Jugend bleibt aus, während die Alten langsam ergrauen.

Dann ist da noch die große politische Realität, denn die Modi-Regierung versucht zunehmend Einfluss auf Auroville zu nehmen. Kritische Bewohner:innen berichten von Visa-Entzügen und Verwaltungsentscheidungen, die durch Regierungsvertreter:innen torpediert werden. Das Friedensprojekt gerät zwischen die Fronten von Idealen und Ideologien.

Und auch intern wird die Frage, wie lange sich Spiritualität und Pragmatismus die Hand geben können, immer lauter. Die Vision eines „neuen Menschen“ nach Aurobindo klingt im Jahr 2025 oft mehr nach Wellness-PR als nach echter Transformation. Doch noch lebt Auroville. Es verändert sich, es streitet sich, es ist überambitioniert – aber nicht gleichgültig. Das unterscheidet die Utopie von Gated Communities oder Influencer-Hotspots mit Detox-Saftbar.