Das besetzte Haus in der Liebig 34, bemalt mit Graffiti auf der Fassade

23.10.25 t/redaktion b/spinheike

Fünf Jahre nach der Räumung: Ein Rückblick auf die Liebig 34

Es war der Morgen des 09. Oktober 2020, als die Exekutive mühsam begann, die Liebig 34 in Berlin-Friedrichshain zu räumen – ein Haus, das über Jahrzehnte als Symbol für selbstverwaltetes, feministisches Leben stand und ausgerechnet in einer Stadt zum Stolperstein wird, die sich gerne als diverser und alternativer Hotspot vermarktet. Heute ist die ehemalige Anlaufstelle der linken Szene lediglich eine Geschichte, die erzählt werden will.

Vom Leerstand zur Lebensform

Die Liebig 34 wurde 1990 besetzt, in einer Zeit, in der halb Friedrichshain leer stand und der Begriff „Gentrifizierung“ noch im Wörterbuch nachgeschlagen werden musste. Das Haus sollte kein Hipsterprojekt, sondern ein Schutzraum sein – für Frauen, Lesben, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen. Eine gelebte Utopie, irgendwo zwischen Anarchie, Alltagschaos und radikaler Fürsorge. Statt auf Verdrängung setzte der Bezirk damals auf Verhandlung und legalisierte die Besetzung in der Liebig 34 sowie weiteren Häusern, wodurch die Projekte weiter existieren konnten.

Rund 50 Menschen lebten verteilt im Haus – in selbstgebauten Zimmern, mit Gemeinschaftsküche und einem Infoladen im Erdgeschoss namens Daneben, der unter anderem als Treffpunkt und politischer Aktionsraum genutzt wurde. Entscheidungen wurden kollektiv diskutiert und getroffen, Hierarchien konsequent abgeflacht. Wer in der Liebig 34 wohnte, lebte nicht einfach in einer großen WG, sondern in einer Gemeinschaft, die schon in den frühen 2000ern mehr war als nur ein Dach über dem Kopf: Sie war ein Ort, an dem Solidarität praktisch gelebt wurde.

Der Eigentumskrieg

2008 endete die Ruhephase. Der damalige Eigentümer, Immobilienunternehmer Gijora Padovicz, wollte den zehnjährigen Pachtvertrag auslaufen lassen, woraufhin die Bewohnenden versuchten, das Haus selbst zu kaufen – vergeblich. Es fehlte das Geld, aber vor allem der politische Wille, kapitalistischen Mechanismen zu folgen. Am 9. Oktober 2020 rückten schließlich rund 1.500 Polizist:innen an, um das Haus zu räumen. Während draußen Wasserwerfer rollten und der Nordkiez brannte, wurden drinnen Bewohner:innen über Leitern abgeführt – eine Szenerie, die die taz sinngemäß als „Sieg des Marktes“ beschrieb.

Die offizielle Begründung hieß nüchtern: Eigentumsrechte durchsetzen. De facto war es aber ein Machtzeichen – ein weiterer Schlag gegen Freiräume, gegen jene Orte, an denen Solidarität wichtiger ist als Profit. Auf Indymedia ist von linken Stimmen und am Räumungstag Anwesenden die Rede von brennenden Autos, Farbbomben, Barrikaden, Spontandemos, kollektiver Kriminalisierung und einer gezielten Zerschlagung linker Infrastruktur.

Und heute?

Heute steht die Liebig 34 leer. Keine neuen Mieter:innen, keine Nutzung, kein Konzept. Nur ein Gebäude, das verfällt – mitten in einem Kiez, in dem Eigentumswohnungen inzwischen das Doppelte kosten wie vor der Räumung. Der Leerstand ist fast schon symbolisch für den Sieg der Stadt, die gleichzeitig verloren hat. Laut Tagesspiegel ist das Haus inzwischen „ideologisch überfrachtet“ – ein hübsches Wort dafür, dass es niemandem mehr gehört, außer der Spekulation.

Und trotzdem: Der Geist der Liebig 34 lebt weiter – in neuen Projekten, in Protesten, in kleinen, stacheligen WG-Küchen überall in Berlin. Die Idee, dass Wohnen politisch ist, lässt sich nicht einfach räumen. Fünf Jahre danach bleibt das Haus ein Mahnmal – dafür, wie konsequent diese Stadt ihre radikalsten Träume abwickelt. Aber auch dafür, dass man Träume nicht abreißen kann.

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