Abbild einer Amsel, die antifaschistische Klassiker in Karlsruhe zwitschert

14.10.25t/redaktionb/chris

Wenn Vögel beginnen, antifaschistische Klassiker zu zwitschern

Stell dir vor, du wachst morgens auf, öffnest das Fenster – und statt des üblichen Spatzengezwitschers hörst du plötzlich Zeilen von Brecht, Celan oder Exildeutschlands Lyriker:innen. Was arg unwahrscheinlich wirkt, ist in Karlsruhe Realität – zumindest im Konzept. Und es ist weniger Spinnerei als vielmehr ein ambitioniertes, politisches Klangexperiment.

Hörbarer Widerstand

Hinter dem Klangversuch steht der Frankfurter Künstler Dennis Siering mit seinem Projekt Radical Climate Action Bird. Das Ziel: die Grenze zwischen Tierwelt, Mensch und Technik aufzubrechen. Im Rahmen der Medienkunst-Ausstellung „Media art is here“ wurde eine solarbetriebene Lautsprecheranlage in einem Baum im Park nahe dem Karlsruher Schloss installiert. Von acht bis elf Uhr vormittags, und abends von halb sieben bis acht Uhr spielt das System synthetisch erzeugtes Vogelgezwitscher – aber nicht irgendeines: Es handelt sich um eine Kreuzung aus antifaschistischen Protestsongs wie Bella Ciao oder Siamo tutti antifascisti und Vogelklängen.

Die Idee dahinter: Vögel – insbesondere Amseln – lernen Geräusche ihrer Umgebung und nehmen sie in ihr Repertoire auf. Die Installation möchte sie sozusagen „trainieren“, die gemischten Klänge zu imitieren. In der taz heißt es, Siering wolle durch dieses Experiment eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wiederaufleben nationalistischer und neofaschistischer Ideen anstoßen. Die UNESCO City of Media Arts Karlsruhe hat das Projekt unterstützt und wenig später ein offizielles Statement veröffentlicht, in dem sie betont, dass die Klanginstallation Teil einer Diskussion über Natur, Technologie und soziale Verantwortung ist.

Wichtig: Das Projekt beansprucht nicht, sofortige politische Veränderungen durch lautstarken Protest zu erzwingen. Es will vielmehr Wahrnehmungsräume öffnen. Was bedeutet es, wenn ein Singvogel plötzlich „Antifaschista“ pfeift? Wie wirken Geräusche im Stadtraum – und wie verändern sie die Hörgewohnheiten? Diese Fragen stehen im Zentrum des Experiments.

Vom Augenzwinkern zur Ernsthaftigkeit

Zugegeben: Ein Vogel, der Bella Ciao zwitschert, ist auf eine weirde Art und Weise außergewöhnlich. Aber genau darin liegt die Kraft, denn durch Absurditäten wird Aufmerksamkeit erzeugt. Vor allem wenn rechte Parolen lauter werden und omnipräsent sind, braucht es Gegenrufe, die nicht im gleichen Ton auftreten, sondern dazwischen – leise, überraschend, irritierend.

Politischer Klang muss nicht allein über Lautsprecherwagen und Megaphone gehen. Wenn zwischen Autohupen, Baustellenlärm und Handyklingeln ein Vogelruf deine Aufmerksamkeit schnappt, ist einiges erreicht, auch wenn es selbstverständlich keinen organisierten Protest ersetzen kann. Trotzdem ist es eine ästhetische Geste, ein Denkanstoß, ein unterschwelliges Stören, das beweist, dass Widerstand auch subtile Irritation bedeuten kann.

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